2022 war anspruchsvoll. Nachdem die Auswirkungen der Covid19-Pandemie sowohl gesundheitspolitisch als auch finanziell einigermaßen im Griff waren und ein optimistischer Ausblick auf das Jahr 2022 gerechtfertigt erschien, geschah das Undenkbare. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat von einem Tag auf den anderen alles verändert. Vom deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz als „Zeitenwende“ bezeichnet, befinden wir uns seitdem in einem anderen Europa mit neuen Herausforderungen und unklarer Zukunft. In der EU am deutlichsten für alle spürbar ist der Anstieg der Energiekosten, der Zusammenbruch etablierter Lieferketten und die damit einhergehende sehr hohe Inflation.
Nach jahrzehntelangen Liberalisierungstendenzen im öffentlichen Sektor ist eine Rückbesinnung auf den Staat festzustellen. Dies hat schon mit der Covid19-Pandemie, den vielfältigen ordnungspolitischen Maßnahmen und umfassenden Wirtschafts- und Arbeitsmarktförderungen begonnen. Mit dem Krieg in der Ukraine hat diese Rückbesinnung aber eine noch weitergehende Dimension erreicht.
So funktioniert das Auslagern von Produktion und Industrie nicht mehr und regionale europäische Lieferketten – wohl auf Kosten höherer Preise und limitierter europäischer Wettbewerbsregeln – gewinnen an Wichtigkeit. Die Energieversorgung wird wieder als öffentliches Gut und staatliche Daseinsvorsorge gesehen und ministeriell mitorganisiert.
Internationale Ökonomen fordern eine Kriegswirtschaft, das heißt staatliche Vorgaben und Regulierungen für die Produktion ausgewählter Güter. Gleichzeitig erreichen die vielfältigen staatlichen Abfederungsmaßnahmen für die Teuerungen Höhen, welche die öffentlichen Budgets in bisher nicht bekannten Ausmaßen belasten. Auch die Europäische Integration und das westliche, auf Rechtsstaat und auf Governance fußende Demokratiemodell, stehen unter Druck.
Das KDZ war in vielfältiger Weise von der „Zeitenwende“ betroffen. Unser Jahresbericht verweist auf die zahlreichen Projekte und Studien zu öffentlichen Finanzen und Leistungen in Österreich und Europa. Aber auch die Resilienz und Nachhaltigkeit des öffentlichen Sektors hat uns verstärkt beschäftigt.
Für uns galt es, unter den neuen Bedingungen die Balance zu wahren. Einerseits die neuen Anforderungen an Resilienz, Finanzierung und Personal des Staates adäquat in unsere Arbeit aufzunehmen. Andererseits die notwendige Umsicht walten zu lassen, um eine Überforderung des Systems öffentlicher Sektor sowie eine unfaire Belastung zukünftiger Generationen zu vermeiden. Das war anspruchsvoll und wird es 2023 voraussichtlich bleiben.