Woran liegt es, dass es nicht mehr Ganztagsschulen gibt? Die Gemeinden stehen auf der Bremse, aber warum? Das KDZ hat für die AK Wien diese Frage in einer Studie untersucht. Die knappe Antwort: Es liegt nicht nur am fehlenden Geld. Zusätzlich zeigen sich massive Mängel in der Gesamtkonzeption der Ganztagsschule. Ergebnis ist, dass die Potenziale der Ganztagsschule – insbesondere die Erhöhung der Chancengleichheit der Kinder – nicht gehoben werden können.
Erwartete positive Effekte von Ganztagsschulen
Durch den Ausbau von ganztägigen Betreuungsangeboten für Schüler*innen werden eine Vielzahl an positiven Effekten erwartet. Insbesondere zu nennen sind bildungspolitische und beschäftigungspolitische Effekte sowie volkswirtschaftliche Potenziale und Beschäftigungseffekte. Für Gemeinden bedeuten Ganztagsschulen auch eine Attraktivierung des Standortes. Wichtige Wirkungen sind in diesem Zusammenhang auch die Erhöhung der Chancengleichheit von Kindern sowie die verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Der Ausbau geht nur langsam voran
Für 40 Prozent der Kinder sollen Angebote zur ganztägigen Tagesbetreuung zur Verfügung stehen. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es seit 2011 Fördermittel des Bundes, welche grundsätzlich als Anschubfinanzierung zu sehen sind. Zuerst bestanden Art. 15a-Vereinbarungen, zuletzt das Bildungsinvestitionsgesetz.
Aktuell stehen 428 Mio. Euro für den Zeitraum 2019/2020 bis 2032/2033 zur Verfügung. Hinzu kommen noch nicht abgeholte Mittel aus dem vorangegangenen Programm in der Höhe von 135 Mio. Euro. Für das Schuljahr 2019/2020 standen damit insgesamt 168 Mio. Euro bereit, wohingegen nur 50 Mio. Euro abgeholt wurden.[1]
Obwohl das Programm bereits seit 2011 läuft, lag die Betreuungsquote im Schuljahr 2020/2021 bei den Schüler*innen im Alter von 6-13 Jahre erst bei 32 Prozent (siehe Abbildung). Die Betreuungsquoten unterscheiden sich dabei nach Größe der Gemeinden beträchtlich. Insbesondere in und um die großen Zentren ist bereits ein deutlich besseres Angebot vorhanden.
Gravierende Mängel in der Gesamtkonzeption
Warum der Ausbau nur langsam vorankommt, hat vielfältige Gründe. Neben der fehlenden Planungssicherheit im Bereich der Finanzen zeigen sich vor allem Probleme im Zusammenhang mit der Gesamtkonzeption.
Durch die Aufteilung der Personalkompetenz auf die Länder (Lernteil) und die Gemeinden (Freizeitteil) entstehen zahlreiche Schnittstellenprobleme. So wird etwa von Gemeinden berichtet, dass diese Doppelanschaffungen machen müssen, da sich Lehrpersonal und Freizeitpädagog*innen nicht die Räumlichkeiten oder Materialien teilen wollen und müssen. Auch zeigen sich vielfach Schnittstellenprobleme in der pädagogischen Zusammenarbeit. Hinzu kommt, dass das Prinzip „Land stellt Personal, Gemeinden stellen Infrastruktur“ durchbrochen ist. Eine Zusammenführung des Personals in eine Hand wäre daher ein wichtiger Schritt.
Auch über Qualität und Attraktivität der Angebote braucht es einen Diskurs. Große Gruppengrößen und fehlende Ressourcen für Integration und sonderpädagogische Bedarfe verhindern eine individuelle Förderung von Kindern. Aufgrund der fehlenden Finanzierung können keine Zusatzangebote – etwa in den Bereichen Sport oder Musik – angeboten werden, was die Attraktivität der Ganztagsschulen deutlich senkt. Die Ganztagsschule sollte jedoch mehr als eine Aufbewahrungsstätte sein.
Herausforderung Personalnot
Zwei Drittel der im Rahmen der Befragung antwortenden Gemeinden haben große Probleme, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden. Dies ist Konsequenz unattraktiver Rahmenbedingungen. Für Lehrer*innen gilt etwa das Freiwilligkeitsprinzip. Aufgrund der im Vergleich zu Lerneinheiten nur schlecht bezahlten Freizeitstunden machen damit kaum Lehrer*innen diesen Job. In der Praxis finden sich daher primär Freizeitpädagog*innen, welche jedoch etwa ungünstige Arbeitszeiten vorfinden (etwa Frühdienst, mehrstündige Pausen zwischen den Arbeitsblöcken).
Um künftig mehr Personal zu finden, sollte daher an mehreren Stellen angesetzt werden: An der Ausbildung, den Arbeitsbedingungen und dem Gesamtkonzept der Ganztagsschule, um die Prozesse innerhalb der Schule zu verbessern.
Finanzierung langfristig absichern
Handlungsbedarf zeigt sich auch im Bereich der Finanzierung. Betrachtet man die Finanzen zeigt sich, dass sich die Einnahmen der Gemeinden im Pflichtschulbereich schwächer entwickeln als die Ausgaben. Die Finanzierungslücke steigt von Jahr zu Jahr. Auch liegt die Kostendeckung im Pflichtschulbereich nur bei rund einem Viertel, der Rest muss aus dem allgemeinen Steuertopf finanziert werden.
Die Ausbauprogramme des Bundes sind grundsätzlich als Anschubfinanzierung konzipiert. Den Gemeinden entstehen jedoch kontinuierlich Mehrausgaben im laufenden Betrieb, insbesondere durch das zusätzliche Personal im Freizeitbereich. Eine transparente und kontinuierliche Ko-Finanzierung, wie es sie etwa für die außerschulische Tagesbetreuung gibt, fehlt jedoch in den meisten Fällen. Da das Problem auf Gemeindeebene bereits sehr groß war, kann nun ein Teil der Mittel der Ausbauprogramme auch in den laufenden Betrieb fließen. Damit fehlen diese Mittel jedoch wiederum für den Ausbau.
Die nachhaltigste Maßnahme zur Entlastung der Gemeindefinanzen ist, die Gemeinden hinsichtlich ihrer personellen Verantwortung in der Freizeitpädagogik zu entlassen. Dies ist auch im Sinne einer Aufgabenentflechtung und Verwaltungseffizienz zu begrüßen. Bis dies umgesetzt ist, braucht es jedenfalls bundesweit einheitliche Ko-Finanzierungen zum laufenden Betrieb von Bund oder den Ländern. Mittelfristig sollten jedenfalls zusätzliche Mittel dafür im Rahmen der Ertragsanteilsverteilung zur Verfügung gestellt werden.
Ganztagsschule gemeinsam meistern
Insbesondere um die Chancengerechtigkeit für die Kinder zu erhöhen, ist es wert, am Konzept der Ganztagsschule weiterzuarbeiten und nicht den Ball der Verantwortlichkeit hin und her zu spielen. Vielmehr gilt es jene Probleme, welche aktuell einem raschen Ausbau entgegenstehen, zu lösen. Eine Evaluierung des Ganztagsschulkonzeptes und eine entsprechende Weiterentwicklung ist daher höchst notwendig. Hierzu gehören jedenfalls eine gesicherte Finanzierung für Gemeinden sowie Investitionen in die Qualität der Angebote und das Konzept der Ganztagsschule.
Information zur Studie:
Mitterer, Karoline; Hochholdinger, Nikola; Seisenbacher, Marion: Ausbaupotenziale in der schulischen und außerschulischen Tagesbetreuung
In der im Auftrag der Arbeiterkammer erstellten Studie werden die Hemmnisse und Erfolgsfaktoren für den Ausbau der Tagesbetreuung sowie die Potenziale des weiteren Ausbaus herausgearbeitet. Es wird ein Überblick über den aktuellen Ausbaustand sowie die bisherigen Entwicklungen gegeben sowie die finanziellen Konsequenzen des weiteren Ausbaus beleuchtet.
[1] Gemäß parlamentarischer Anfrage 2022.