Alle österreichischen Gemeinden mussten mit dem Finanzjahr 2020 erstmalig eine Bilanz in ihren Rechnungsabschlüssen darstellen. Somit ist es nun möglich, einen Überblick über das gesamte Gemeindevermögen zu erhalten. Die Differenzierungen nach Einwohner*innenklassen sowie nach Bundesländern bringen spannende Erkenntnisse – und spiegeln die strukturellen Gegebenheiten sowie den Föderalismus wider.
77 Prozent des Vermögens in Anlagen der Daseinsvorsorge gebunden
Das Vermögen stellt die Substanz dar, welche durch die Gemeinden zu erhalten ist. Dieses beträgt zum Stichtag 31.12.2020 84 Mrd. Euro (zum Vergleich: das Vermögen des ÖBB-Konzerns betrug 2020 rund 33 Mrd. Euro).
Den mit Abstand größten Anteil am Gemeindevermögen haben Grundstücke sowie sämtliche Straßeninfrastruktur (beispielsweise Straßen, Geh- und Radwege, Tunnel, Brücken, Verkehrszeichen etc.) mit fast 50 Prozent. Dabei handelt es sich nicht nur um leicht verwertbare Grundstücke, sondern um Flächen, die als öffentliches Gut gelten (beispielsweise Grundstücke, auf denen sich Straßenbauten befinden oder öffentliche Plätze im Zentrum) und somit grundsätzlich dem Gemeinwohl dienen.
Der nächstgrößte Anteil (16 Prozent) am Vermögen bilden die Gebäude und Bauten. Dazu zählen Schul- und Kindergärtengebäude, Amtsgebäude und Rathäuser, Gemeindewohnungen, Veranstaltungs- und Sporthallen etc. Hier handelt sich oft um nutzungsintensive Gebäude (Bildungs- und Freizeitinfrastruktur) oder auch historische Bauten, für deren Erhaltung die Gemeinden aufkommen müssen. Es können Gemeindeimmobilien aber auch in Gesellschaften ausgelagert sein, diese scheinen dann als Beteiligung auf.
Mit 13 Prozent sind die Wasser- und Abwasserbauten ein wesentlicher Bestandteil des Gemeindevermögens. Das sind sämtliche Wasserleitungen, Aufbereitungsanlagen und Kanalnetze. Hier kommt es zwischen den Gemeinden zu erheblichen Unterschieden, je nachdem ob es in der Region einen (Ab-)Wasserverband gibt, der das Anlagevermögen für Abwasserentsorgung bzw. Wasserversorgung übernommen hat. Anders als andere Bereiche, die über Steuern finanziert werden (Ertragsanteile und gemeindeeigene Steuern), sind diese Anlagen nutzerfinanziert über Gebühreneinhebungen.
Auf der Aktivseite noch betraglich relevant sind die Beteiligungen (9 Prozent). Beteiligungen sind Anteile am Eigenkapital an Unternehmen, das sind in der Praxis vor allem Personen- und Kapitalgesellschaften. Nicht umfasst sind Verbände und Vereine. Die Arten von Beteiligungen sind von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich. Sie reichen von ausgelagerten Unternehmen für Sport- oder Freizeitinfrastruktur, über Infrastrukturdienstleister für den öffentlichen Verkehr bis hin zu Standortmarketing-Agenturen oder Gemeindewohnungsverwaltungen.
Neben dem sonstigen Vermögen machen die liquiden Mittel noch 4 Prozent aus, das sind Bankguthaben und Kassa. In Summe sind dadurch rund 95 Prozent des Vermögens langfristig gebunden.
Details zu den Bewertungsmethoden aller Vermögensarten finden Sie im public Sonderheft – Eröffnungsbilanz VRV 2015.
Deutliche Unterschiede im Vermögen nach Einwohner*innen-Klasse
Das langfristige Vermögen betrachtet nach Einwohner*innen-Klassen (EW-Klassen) zeigt eine signifikant höhere Kopfquote bei den kleineren Gemeinden bis 500 EW. Hier ist zu erwähnen, dass verstärkt Tourismusgemeinden mit hohem Infrastrukturbedarf vertreten sind. In der kleinsten EW-Klasse macht der Großteil Grundstücke sowie instandhaltungsintensive Anlagen wie Straßen, Gebäude oder Kanalanlagen aus. Die Auslagerung des Vermögens und somit die Erbringung von Infrastrukturdienstleistungen (wie z.B. die Wasserversorgung oder öffentlicher Verkehr) in Verbände oder in Unternehmen kann das Vermögensbild einer Gemeinde stark beeinflussen. So scheint das Vermögen nicht als Sachanlagevermögen auf, sondern als Beteiligung (mit dem Anteil am Eigenkapital des Unternehmens). Dies fällt besonders bei Städten mit über 50.000 EW auf, hier ist der Wert der Beteiligungen pro Kopf am höchsten. Zu beachten ist, dass nur Anteile an Unternehmen aufgenommen werden, Verbände (ein gängiges Modell in der Praxis) scheinen hingegen nicht in einer Gemeindebilanz auf.
Höchstes Pro-Kopf-Vermögen in Tirol und Vorarlberg
Im Bundesländervergleich weisen die Gemeinden in den westlichen Bundesländern Tirol und Vorarlberg höhere Vermögenswerte je EW aus, fast doppelt so viel wie die Gemeinden aus den Bundesländern Kärnten und Steiermark. Dies könnte zum Teil durch unterschiedliche Erstbewertungsvorgaben, Eigentumsstrukturen sowie Grundstückspreise in den Bundesländern begründet sein. Tirol hat bei der Kategorie Grundstücke, Grundstückseinrichtungen und Infrastruktur den höchsten pro-Kopf-Wert von über 10.000 Euro. Bei den anderen Vermögensarten liegt jeweils immer Vorarlberg an der Spitze.
Drei Viertel des Vermögens kann über Eigenmittel im weiteren Sinn finanziert werden
Einem Gesamtvermögen von 84 Mrd. Euro stehen fast 50 Mrd. Euro Nettovermögen (Eigenkapital) sowie 12 Mrd. Euro passivierte Investitionszuschüsse gegenüber. Investitionszuschüsse sind (in der Vergangenheit) erhaltene Kapitaltransfers z.B. der Länder, um Investitionen zu finanzieren. Diese sind in der Regel nicht rückzahlbar und zählen somit zu den Eigenmitteln im weiteren Sinn (mehr zum Länder-Gemeinde-Transfersystem finden Sie in einem eigenen Kapitel im Gemeindefinanzbericht).
Rund 74 Prozent des Vermögens sind daher über Eigenmittel finanziert. Die Fremdmittel, das sind vor allem Bankdarlehen, machen mit 22 Mrd. Euro rund 26 Prozent aus. Ein gutes Zeichen für die Gemeindefinanzen stellt die Deckung des langfristigen Vermögens mit langfristigem Kapital (Nettovermögen, Investitionszuschüsse und langfristige Fremdmittel) dar.
Ebenfalls im Nettovermögen enthalten sind Haushaltsrücklagen in Höhe von 9,4 Mrd. Euro, eine wichtige Größe für die Beurteilung der Eigenfinanzierungsreserven. Gemeinden können aus dem Nettoergebnis („Gewinn oder Verlust“) Rücklagen bilden und dafür auch Geldmittel für zukünftige Investitionen „reservieren“ oder sogar zweckbinden. Von den 9,4 Mrd. Haushaltsrücklagen sind jedoch nur 3,4 Mrd. Euro auch tatsächlich mit Geldmitteln gedeckt. Zum Teil ist diese Differenz von 6 Mrd. Euro auch durch unterschiedliche Buchungsregelungen in den Bundesländern zu erklären. In einzelnen Bundesländern ist die Bilanzierung von rein buchhalterischen, nicht geldhinterlegten Haushaltsrücklagen möglich (beispielsweise Steiermark und Niederösterreich – siehe Abbildung 4).
Im Bundesländervergleich weist Salzburg die höchsten liquiden Reserven mit 651 Euro pro Kopf aus, gefolgt von Vorarlberg mit 500 Euro pro Kopf. Schlusslicht ist das Burgenland mit 167 Euro pro Kopf.
Neue Kennzahl: Nettovermögensquote
Die Kennzahl Nettovermögensquote (NVQ) gibt Auskunft über die Kapitalstruktur einer Gemeinde. Sie zeigt damit an, wie weit das Vermögen mit eigenen Mitteln finanziert werden kann. Je höher der Wert, umso geringer sind die Finanzschulden und damit die Belastung der Gemeinde durch Tilgungen und Zinsen.
Werden die EW-Klassen verglichen, weisen die Gemeinden bis 500 EW die höchste NVQ von 86 Prozent aus. Je höher die Klasse wird, desto niedriger ist die Kennzahl. Einen größeren Rückgang gibt es ab 20.000 EW und bei Gemeinden mit über 50.000 EW beträgt die Nettovermögensquote fast nur mehr die Hälfte (41 Prozent) gegenüber der kleinsten EW-Klasse. Dies könnte unter anderem auf die Tendenz größerer Städte zurückgeführt werden, Pensionsrückstellungen gebildet zu haben (gesetzliches Wahlrecht). Andere Personalrückstellungen wie Abfertigung und Jubiläumsgeldzuwendungen, die zu den Fremdmitteln zählen, sind für alle Gemeinden verpflichtend zu bilden. Somit gibt es erstmals auch eine Bewertung der zu erwartenden zukünftigen Verbindlichkeiten gegenüber dem Personal, die den Gemeinden als Planungsgrundlage dienen kann.
Im Bundesländervergleich weisen die Vorarlberger Gemeinden mit 78 Prozent die geringste Nettovermögensquote auf, das Nachbarbundesland Tirol mit 88 Prozent den höchsten Wert. Vorarlberg ist auch das Bundesland, mit dem höchsten Schuldenstand, welcher sich auf die Berechnung der Nettovermögensquote auswirkte.
Zusammenfassende Betrachtung
Erstmalig ist eine Gegenüberstellung des bewerteten Vermögens mit den Eigen- und Fremdmitteln für jede einzelne Gemeinde sichtbar. In Summe kommen alle Gemeinden in Österreich auf ein Vermögen von 84 Mrd. Euro. Davon sind 77 Prozent in Grundstücken, Straßen, Gebäuden sowie Wasser- und Abwasseranlagen gebunden. Das sind wesentliche Anlagen für die Sicherung der Daseinsvorsorge, die auch erhalten und finanziert werden müssen.
Umso positiver ist es zu sehen, dass ein Großteil davon, nämlich 74 Prozent des Gesamtvermögens, aus eigener Kraft finanziert werden konnte, das heißt über das Nettovermögen und Investitionszuschüsse. Das gesamte langfristige Vermögen ist auch mit langfristigem Kapital gedeckt. Bei der Kennzahl Nettovermögensquote weisen insbesondere große Städte niedrige Wert auf, dies vor allem aufgrund der höheren Fremdmittel durch die Bildung von Pensionsrückstellungen (Wahlrecht).
Den Gemeinden stehen 3,4 Mrd. Euro an liquiden Mitteln zur Verfügung, davon sind 1,8 Mrd. Euro in Zahlungsmittelreserven (zweck-)gebunden. Demgegenüber stehen 9,4 Mrd. an Haushaltsrücklagen, die auch hohe buchhalterische Rücklagen aus einzelnen Bundesländern beinhalten. Aus diesem Grund lohnt sich ein Blick auf die Aktivseite, um die liquiden Reserven für die Finanzierung von Investitionen zu beurteilen. Die Höhe der liquiden Reserven ist insbesondere relevant, um Investitionstätigkeiten zu sichern und die Krisenfestigkeit zu stärken.
Weiterführende Hinweise
Eine vertiefende Analyse aller Haushalte sowie Empfehlungen zur Stärkung der Gemeindefinanzen finden Sie im aktuellen Stadtdialog – Österreichische Gemeindefinanzen 2022.
Auch sind bereits zwei Drittel der Gemeinden auf www.offenerhaushalt.at freigeschalten. Diese Plattform bietet eine Visualisierung des Vermögenshaushalts einzelner Gemeinden, aber auch aller Gemeinden eines Bezirks oder Bundeslands, an.