Verwaltungsreform in Deutschland - Initiative für einen handlungsfähigen Staat

Während in Österreich das Regierungsprogramm einen neuen „Verfassungskonvent“ vorsieht, haben in Deutschland im Herbst 2024 renommierte Ex-Politiker*innen und Vertreter*innen von Wirtschaft und Gesellschaft die überparteiliche „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ ins Leben gerufen, um innerhalb kurzer Zeit Empfehlungen für grundlegende Verwaltungsreformen zu erarbeiten. Im März 2025 wurde der erste Zwischenbericht vorgelegt. Kann Österreich davon lernen?

Das Besondere an der Initiative ist, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft übernommen hat und die Initiative von vier der größten Stiftungen in Deutschland – der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Stiftung Mercator, der Fritz Thyssen Stiftung und der Zeit Stiftung Bucerius unterstützt wird. Zusammen mit rund 50 Fachleuten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung haben die vier Initiierenden in sieben Arbeitsgruppen Reformvorschläge erarbeitet. Um möglichst praxisnahe Lösungen zu entwickeln, wurden ergänzend zahlreiche Fachleute, Verbandsvertretende sowie Vertretende von
Kommunen, Unternehmen und der Zivilgesellschaft eingebunden.

Der breit angelegte Ansatz mit Fokus auf die Gelingensfaktoren staatlicher Handlungsfähigkeit stellt eine Neuerung dar: Statt sich auf einzelne politische Bereiche zu konzentrieren, analysiert die Initiative die übergeordneten Rahmenbedingungen, die für eine erfolgreiche Politikgestaltung und vor allem -umsetzung notwendig sind. Im Fokus steht dabei nicht die Reform einzelner Politikbereiche wie Rente oder Steuern, sondern die Schaffung grundlegender Voraussetzungen für erfolgreiche Reformen, um das Vertrauen in Staat und Demokratie zu stärken.1 Der Mitte März gemeinsam mit dem Bundespräsidenten vorgestellte Zwischenbericht präsentiert insgesamt 30 Empfehlungen, die in den kommenden Monaten noch vertieft und weiterentwickelt werden.

Viele der Ideen und Empfehlungen unseres Zwischenberichts haben Eingang gefunden in den kürzlich vorgestellten Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Das Bekenntnis zu einem "handlungsfähigen Staat" findet sich der Päambel sowie der Überschrift eines der Hauptkapitel und es wird eine „echte Staatsreform“ und „ambitionierte Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung“ angekündigt. Auf Seite 56 wird sogar explizit darauf hingewiesen, dass man die Vorschläge unserer Initiative aufgreifen wird. Gerhard Hammerschmid

Inhalt und Empfehlungen

Der Zwischenbericht konzentriert sich auf strukturelle Probleme, die die Handlungsfähigkeit des Staates einschränken. Ein zentraler Aspekt ist die Gesetzgebung, die oft zu kompliziert und bürokratisch ist und die Vollzugsebene vielfach überfordert. Neue Gesetze sollen künftig verständlicher, praxisorientierter und flexibler gestaltet werden. Zudem soll es möglich sein, Regelungen zunächst in Pilotprojekten zu erproben, bevor sie flächendeckend umgesetzt werden. 

Eine Föderalismusreform ist erforderlich, um Kompetenzkonflikte zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu reduzieren und Entscheidungsprozesse effizienter zu gestalten. Eine neue Bund-Länder-Initiative soll deshalb Vorschläge erarbeiten, um die Aufgabenverteilung klarer zu regeln. Ein zentraler Reformschritt ist die Begrenzung der Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund und Ländern. Die derzeitige Mischfinanzierung führt oft zu Verzögerungen Unklarheiten und einem erhöhten bürokratischen Aufwand. Besonders betroffen sind die Kommunen, die durch unklare Zuständigkeiten oft geschwächt werden. Dies beeinträchtigt ihre Handlungsfähigkeit und untergräbt das Vertrauen der Bürger innen und Bürger in den Staat. Ein weiteres Problem ist das Fehlen effizienter Regelungen für bundeseinheitliche Länderaufgaben. Derzeit können solche Regelungen nur durch Staatsverträge geschaffen werden, deren Verabschiedung oft Jahre dauert. Eine klarere Aufgabenverteilung und eine stärkere Rolle des Bundesrats könnten eine moderne, handlungsfähigere Struktur schaffen, die den aktuellen Herausforderungen
besser gerecht wird. 

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Digitalisierung der Verwaltung. Die Initiative fordert die Einrichtung eines eigenen Ministeriums für Digitales und Verwaltung, das die Digitalisierung vorantreiben und klare Standards setzen soll. Das Ministerium soll auch für Personalthemen und Dienstrecht zuständig sein und die Personalstruktur in der öffentlichen Verwaltung reformieren, um qualifizierte Fachkräfte für IT und Management zu gewinnen und den Wechsel in den öffentlichen
Dienst zu erleichtern. Ein digitales Verwaltungsportal soll zudem ermöglichen, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen ihre Anliegen effizienter online erledigen können. 

Im Bereich Sicherheit und Migration schlägt die Initiative eine Modernisierung der deutschen Sicherheitsarchitektur vor. Die aktuelle Rechtslage sei nicht mehr auf die Bedrohungen der Gegenwart ausgerichtet, insbesondere im Bereich Cybersicherheit. Deshalb soll der Bund künftig mehr Kompetenzen erhalten, um auf Bedrohungen schneller reagieren zu können. 

 Neben Sicherheit und Digitalisierung geht es auch um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Der Staat soll sich stärker als strategischer Investor und Auftraggeber positionieren, um Innovationen gezielt zu fördern. Die öffentliche Beschaffung soll einfacher und digitaler gestaltet werden, um bürokratische Hürden für Unternehmen abzubauen. Gleichzeitig sollen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft enger vernetzt werden, damit neue Technologien schneller in die Praxis
umgesetzt werden können. 

Auch im Bereich Datenschutz spricht sich die Initiative für eine Lockerung der strengen deutschen Regulierungen aus. Die aktuelle Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung sei oft unnötig bürokratisch und behindere Innovationen, insbesondere für kleine Unternehmen und Start-ups. 

Ein weiteres wichtiges Reformfeld ist der Klimaschutz. Die Initiative fordert, dass das Klimakabinett institutionell verankert wird, um eine langfristige Strategie
zu gewährleisten. Zudem sollen künftig alle neuen Gesetze einem Klima- und Sozialverträglichkeitscheck unterzogen werden, um sicherzustellen, dass soziale und ökologische Aspekte systematisch berücksichtigt werden. 

Auch im Sozialbereich sieht die Initiative Reformbedarf. Die Zuständigkeiten für Sozialleistungen sollen gebündelt und über eine zentrale digitale Plattform verwaltet werden, um Bürokratie abzubauen. Leistungen wie Kindergeld, Wohngeld und Sozialhilfe sollen dabei stärker vereinheitlicht und nach einem einfachen Bedarfsprinzip zugewiesen werden.

In der Bildungspolitik schlägt die Initiative die Gründung eines Nationalen Bildungsrats vor, der Mindeststandards für Bildung und Prüfungen festlegt und die Qualität der Schulen verbessert. Gleichzeitig sollen Schulen mehr Eigenverantwortung erhalten, um flexibler auf Herausforderungen reagieren zu können. 

Die Reformen sollen zwar zentral vom Bundeskanzleramt gesteuert aber nicht nur von politischen Entscheidungstragenden verantwortet werden. Vielmehr soll die
Gesellschaft durch Bürger*innenbeteiligung und Bürger*innenräte aktiv eingebunden werden. Zudem schlägt die Initiative die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht vor, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und den Personalmangel in sozialen Bereichen zu lindern. 

Blaupause für Österreich?

Österreich steht vor ähnlichen Herausforderungen wie Deutschland. Viele Empfehlungen sind auch für Österreich von höchster Relevanz (siehe Gesetzgebung, Föderalismus, Wettbewerbsfähigkeit, Datenschutz und Klimaschutz). 

Fazit: Ein neuer Weg für Reformprozesse in Österreich

Die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ bietet nicht nur inhaltliche Reformvorschläge, sondern auch einen innovativen und beeindruckend schnellen Prozess, der als Vorbild für Österreich dienen könnte. Besonders bemerkenswert ist der partizipative Ansatz, der nicht auf einen klassischen „Topdown“- Verfassungskonvent setzt, sondern eine breite Einbindung von Anspruchsgruppen fördert und von unabhängigen Stiftungen getragen wird.

Die Initiierenden kommen nicht aus der aktiven Politik oder Verwaltung, sondern agieren als engagierte Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft, bringen als ehemalige Minister*innen, Top-Manager*innen und als Präsident des Verfassungsgerichtshofs aber entsprechende Expertise ein. Dies ermöglicht eine unabhängige und praxisorientierte Perspektive auf Reformbedarfe, die nicht von parteipolitischen Interessen dominiert wird. Gleichzeitig sichert die Schirmherrschaft des
Bundespräsidenten die notwendige politische Legitimation und öffentliche Aufmerksamkeit. 

Ein weiterer vielversprechender Aspekt ist die breite Einbindung von Fachpersonen, Interessenvertretungen und in Zukunft auch Bürger*innen durch Bürger*innenräte. Diese dialogorientierte Herangehensweise stärkt die Akzeptanz von Reformen und kann dazu beitragen, Widerstände frühzeitig zu erkennen
und konstruktiv zu bearbeiten. Die institutionelle Verankerung der Initiative durch eine eigene Geschäftsstelle an einer Universität sowie die Unterstützung durch
Stiftungen können weitere Erfolgsfaktoren sein. Für Österreich könnte ein ähnlicher Prozess eine neue Möglichkeit sein, Föderalismus- und Verwaltungsreformen abseits traditioneller politischer Blockaden voranzutreiben und eine moderne, handlungsfähige Staatsstruktur zu entwickeln.

Zur Initiative 

Zwischenbericht 

1 Eine jährlich vom deutschen Beamtenbund (dbb) in Auftrag gegebene repräsentative Befragung der Bevölkerung zeigt, dass das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit kontinuierlich sinkt. Im Jahre 2024 waren bereits 70 % der Bürgerinnen und Bürger der Meinung, dass der Staat in Bezug auf seine Aufgaben und Probleme überfordert ist.

 

Milluks Kerstin
Kerstin Milluks | Bundesministerium für Inneres (Deutschland)
Die CAF-Webinare und die Kooperation mit dem KDZ haben uns dabei sehr unterstützt, das Qualitätsnetzwerk der öffentlichen Verwaltung in Deutschland zu stärken.
Petra Holl
Amtsleiterin Petra Holl | Oberalm
Die Teilnahme an Seminaren des KDZ bedeutet für meine Mitarbeiter*innen und mich, gut vorbereitet auf die Herausforderungen der täglichen Arbeit zu sein.
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Mag. Thomas Wolfsberger | Finanzdirektor der Stadt St. Pölten
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